den 30. Juli 1914
Graf Szögyény an Grafen Berchtold
Graf Szögyény an Grafen Berchtold
Telegramm Nr. 328
B e r l i n ,  den 30. Juli 1914
Aufg. 5 Uhr 30 M. p. m.
Eingetr. 7 Uhr 20 M. p. m.C h i f f r e — S t r e n g g e h e i m
Während ich bis vor kurzem noch bei allen maßgebenden hiesigen Kreisen größte Ruhe bezüglich der Eventualität eines europäischen Konfliktes konstatieren konnte, muß ich gestehen, daß ich nunmehr das Gefühl habe, daß in den allerletzten Tagen eine nicht nur auf die größere Aktualität der Frage zurückzuführende Nervosität dieselben ergriffen hat.
Der Grund dieses Umschwunges der hiesigen Stimmung liegt unbedingt in der durch meine telegraphische Berichterstattung bereits gemeldeten begründeten Angst, daß Italien seine Bündnisverpflichtungen im allgemeinen Konflikt dem Dreibund gegenüber nicht einhalten werde, ja sogar, daß seine allgemeine Haltung uns gegenüber eine direkt zweifelhafte sein könnte.
Ist aber der Dreibund, so argumentiert die deutsche Regierung weiter, nicht als geschlossenes Ganzes zu betrachten, so würden unsere Chancen im großen Konfliktsfall bedeutend verschlechtert werden.
Es müsse also Italien unbedingt dem Dreibund, und zwar als aktiver Faktor, erhalten bleiben.
Deshalb rät man hier Euer Exzellenz auf das allerdringendste, in der Auslegung des Artikels VII des Dreibundvertrages möglichst »large« zu sein und Italien, was die Kompensationsfrage betrifft, größtmögliches Entgegenkommen zu bekunden, und so schnell als möglich zu erklären, daß man s o f o r t (im Sinne großzügigsten Entgegenkommens) auf Verhandlungen über die Auslegung des Artikels VII bei Anerkennung der Kompensationsverpflichtung einzugehen bereit ist. (Wobei selbstredend auch nach hiesiger Überzeugung von dem Trentino k e i n e Rede sein könne.)
Dieser Wunsch Deutschlands beruht m e i n e r f e s t s t e h e n d e n A n s i c h t n a c h a b s o l u t n i c h t auf einem Abflauen seiner Bündnistreue ÖsterreichUngarn gegenüber, sondern einzig und allein auf der Überzeugung, daß ÖsterreichUngarn und Deutschland unbedingt Italien brauchen, um in den allgemeinen Konflikt mit Sicherheit eintreten zu können.
Die mit Euer Exzellenz Telegramm Nr. 280 geheim vom 28. d. M.1 anher bekanntgegebenen Zugeständnisse an Italien seien nach Meldungen des deutschen Botschafters in Rom von dem italienischen Kabinett als nicht genügend betrachtet worden.
Wie mir der k. u. k. Militärattaché meldet, hat ihm Generalstabschef Graf Moltke in demselben Sinne betreffs der unbedingten Notwendigkeit eines sofortigen Verständnisses mit Italien gesprochen.
Ich kann nicht umhin, mich in Betracht des großen Ernstes der Lage v o l l i n h a l t l i c h der vorberichteten Überzeugung der deutschen Regierung anzuschließen.
1Siehe II, Nr. 87. (Zurück)
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