den 6. August 1914

Graf Berchtold an den Grafen Szögyény in Berlin


Graf Berchtold an den Grafen Szögyény in Berlin

Telegramm Nr. 361

W i e n ,  den 6. August 1914
Chiffr. 2 Uhr   · / .   p. m.

C h i f f r e  

Ich ersuche Euer Exzellenz, dem Reichskanzler folgendes mitzuteilen:
Es ist selbstverständlich, daß wir unseren Bundespflichten in jeder Weise nachkommen und auch Frankreich und England den Krieg erklären werden.
Derzeit befindet sieh unsere Flotte noch in Ausrüstung. Die mit Reserve bemannte dritte und vierte Division wird erst morgen voll bemannt sein und braucht noch mindestens 4 bis 5 Tage, um als kriegstüchtig zu gelten.
Unser Oberkommando befürchtet, daß eine Kriegserklärung an Frankreich automatisch das Erscheinen der französischen und englischen Flotte in der Adria zur Folge hätte, welche sich in Cattaro festsetzen; Montenegro würde sich dann gewiß gegen uns wenden. Unsere Flotte würde aber geopfert sein, wenn sie vor vollständiger Ausrüstung den Kampf aufnehmen müßte.
Es sind also sehr ernste militärische Bedenken, welche gegen eine sofortige Kriegserklärung sprechen, und wenn ich mir auch nicht verhehle, daß der Eindruck, den unser Zögern hervorrufen wird, sehr bedauerlich ist, so stimme ich doch der Ansicht der Militärs bei, daß eine vorzeitige Kriegserklärung weit größere positive Schäden mit sich bringen muß.
Seine Majestät der Kaiser und König hat mir heute die prinzipielle Ermächtigung erteilt, Frankreich und England den Krieg zu erklären. Ich würde, trotz all der vorangehenden Argumente, im Gegensatze zu allen unseren militärischen Autoritäten Frankreich und England morgen den Krieg erklären, falls der Reichskanzler immer noch hierauf beharrt, möchte aber Herrn von Bethmann doch zu bedenken geben, daß ein auch nur teilweiser Erfolg unserer Flotte in einigen Tagen viel eher erwartet werden kann als heute und es für uns und Deutschland doch unendlich viel wichtiger ist, daß dieser Erfolg erzielt werde, als daß wir sofort mit der Kriegserklärung vorgehen.


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