World War I, Unterredung Graf Berchtolds mit dem deutschen Botschafter

den 20. Juli 1914

Unterredung Graf Berchtolds mit dem deutschen Botschafter


Unterredung Graf Berchtolds mit dem deutschen Botschafter

Tagesbericht Nr. 3425.

W i e n ,  den 20. Juli 1914.

Der deutsche Botschafter ist am 20. Juli bei mir erschienen und hat mir auftragsgemäß mitgeteilt, daß man in Berlin sehr besorgt sei wegen der Haltung Italiens angesichts unserer geplanten Aktion gegen Serbien.
Botschafter von Flotow hätte unterm 15. d. M. berichtet, daß man in der Umgebung des Ministers di San Giuliano beunruhigt sei infolge pessimistischer lautender Berichte des Herzogs von Avarna. San Giuliano vermeide diesbezüglich eingehendere Konversation mit Flotow; Luzzati und andere aus der Umgebung des Ministers ließen sich aber dahin vernehmen, daß Östereich-Ungarn sich durch zu weitgehende Forderungen ins Unrecht setzen würde und nicht auf die Unterstützung Italiens rechnen könnten.
Unter 16. d. M. hätte dann Flotow gemeldet, daß Minister di San Giuliano ein völkerrechtliches Gutachten seitens Fusinatos eingeholt hätte, demzufolge Reklamationen an einen fremden Staat nur wegen gemeiner Verbrechen, nicht wegen politischer Propaganda zulässig seien. Die Ermordung des Thronfolgers sei nicht von Untertanen Serbiens begangen worden, daher könne sie nicht zum Gegenstande einer Reklamation gemacht werden.
Der italienische Minister des Äußern hatte sich auch dahin geäußert, daß Italien unmöglich eine Politik der Unterdrückung der Nationalidee mitmachen könne. Zwischen Wien und Rom hätten sich seit den Triester Erlässen des Prinzen Hohenlohe, die in ganz Italien das peinlichste Aufsehen erregt hätten, wiederholte Differenzen ergeben, unter deren Einfluß sich eine Stimmung gegen die Monarchie herausgebildet habe, gegen welche anzukämpfen vergebliche Arbeit wäre. Er sehe so viele schwarze Punkte am Horizonte unserer wechselseitigen Beziehungen, daß er an der weiteren Arbeit zur Erhaltung des Einvernehmens beinahe zweifle. Auch fürchte er, Italien werde die österreichischen Reklamationen nicht unterstützen können, ohne sich in Gegensatz mit den tief eingewurzelten Prinzipien des italienischen Volkes zu setzen.
Herr von Jagow kommt angesichts dieser Meldung zum Schlusse, daß eine Aktion Österreich-Ungarns nicht nur keiner Sympathie in Italien begegnen, sondern eventuell direkten Widerstand finden würde. Der deutsche Staatsminister würde daher dringend raten, daß wir uns mit Italien ins Benehmen setzen, wobei er der Ansicht Ausdruck gibt, daß eine Aktion Italiens gegen Valona (welche Italien zwar nicht intendiert, auch nicht gerne unternehmen würde, zu welchen es aber à titre de compensation genötigt werden könnte) geeignet wäre, Italien zu »beschäftigen« und dessen Aufmerksamkeit von unserer serbischen Aktion abzulenken.
In meiner Erwiderung machte ich vor allem geltend, es sei sehr bedauerlich, daß Italien allem Anscheine nach bereits Wind von unserem geplanten Vorgehen gegen Serbien erhalten habe. Von hier aus, wo dem italienischen Botschafter keinerlei Andeutung gemacht worden sei, könne die italienische Regierung ihre Informationen nicht gewonnen haben.
Die Versicherung Herrn von Tschirschkys, daß deutscherseits auch keine gegenständliche Mitteilung erfolgt sei, quittierte ich mit dem Bemerken, daß Flotow vielleicht von sich aus einiges erzählt haben könnte. Solche Konfidenzen an Italien, von welcher Seite sie auch ausgegangen sein mögen, erschienen mir höchst bedenklich und stünden mir schon jetzt Anhaltspunkte zur Verfügung, daß Italien sich angelegen sein lasse, unsere Aktion zu kontrekarrieren. Ich könnte mich daher auch nicht entschließen, mich jetzt schon in Gedankenaustausch über unsere Aktion mit der italienischen Regierung einzulassen, was übrigens in dieser Weise seinerzeit in Berlin zwischen Unterstaatssekretär Zimmermann und Grafen Hoyos besprochen worden sei. Wir beabsichtigten einen Tag vor Mitteilung der Note an Serbien das Kabinett von Rom diesbezüglich zu informieren, was mir als Courtoisieakt gegen einen unerläßlichen Verbündeten vollkommen hinlänglich erscheine.
In merito machte ich geltend, daß durch Ministerratsbeschluß festgestellt wurde, daß wir kein serbisches Gebiet annektieren würden, wodurch italienische Kompensationsansprüche, selbst wenn man solche aus einer willkürlichen Interpretation des Artikels VII herableiten sollte, in sich selbst zusammenfallen. Was speziell Valona anbelangt, bestehe hier eine so starke Strömung in der öffentlichen Meinung gegen die Zulassung einer italienischen Festsetzung auf der jenseitigen Küste der Adria an der Straße von Otranto, daß ich mich auf eine Transaktion Über diesen Punkt nicht einlassen könnte.
Wenn italienischerseits das Nationalitätenprinzip in den Vordergrund gestellt wurde, so sei darauf zu erwidern, daß wir nichts anderes anstreben, als unseren serbischen Staatsangehörigen weitgehende Freiheiten zu geben, beziehungsweise die bereits denselben konzedierten Freiheiten ungeschmälert zu erhalten, daß wir aber eben hieran durch die großserbische Wühlarbeit gehindert werden, gegen die wir nun Stellung nehmen müssen.
Ich legte Herrn von Tschirschky auch nahe, via Berlin Minister di San Giuliano auf den Widerspruch aufmerksam zu machen, der darin gelegen sei, daß er immer versichere, Italien brauche ein starkes Österreich-Ungarn als Schutzwall gegen den Slavismus, andererseits in kritischen Momenten eine Politik mache, die ihn mit Rußland der Vormacht des Slavismus, zusammenführe und darauf ausgehe, der Monarchie die Möglichkeit zu benehmen, ihren gegenwärtigen Besitzstand zu erhalten.
Schließlich betonte ich, daß wir uns durch solche Nachrichten aus Italien nicht einschüchtern und uns nicht vom vorgesteckten Pfade ablenken lassen dürften, um so weniger, als ich aus der Berichterstattung unseres Botschafters am Quirinal ersehe, daß Italien derzeit infolge des libyschen Feldzuges noch keineswegs aktionslustig sei und seinem Unmute gegen uns wohl in Worten, kaum aber in Taten Luft machen werde.


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Last Updated: January 2001.