den 12. August 1914

Unterredung des Grafen Berchtold
mit dem englischen Botschafter


Unterredung des Grafen Berchtold
mit dem englischen Botschafter

Tagesbericht Nr. 3941

W i e n ,   den 12. August 1914      

Der englische Botschafter hat heute um 12 Uhr mittags bei mir vorgesprochen, um mir auftragsgemäß zu sagen, daß angesichts des Umstandes, daß wir bereits vor einiger Zeit den Krieg an Rußland erklärt hatten und uns nunmehr auch im Kriegszustand mit Frankreich befänden, die englische Regierung genötig sei, ihrerseits uns den Krieg zu erklären und uns anzuzeigen, daß sie sich seit 12 Uhr mitternachts im Kriegszustand mit der Monarchie betrachte.
Eine analoge Eröffnung sei von Sir Edward Grey an Grafen Mensdorff erfolgt1.
Auf meine Bemerkung, daß zwar unsere diplomatischen Beziehungen mit Frankreich abgebrochen seien, daß wir uns aber bis nun nicht im Kriegszustand mit der Republik befänden, entgegnete der Botschafter, daß er den Auftrag, wie er ihn von seiner Regierung erhalten, tel quel wiedergegeben habe, er nicht ermangeln werde, seine Regierung auf den erwähnten Umstand aufmerksam zu machen, was aber in merito nichts ändern würde.
Mit bewegter Stimme setzte mir sodann der Botschafter auseinander, daß er sich seiner Mission mit schwerem Herzen entledige, da er bei uns jederzeit nur warmen Sympathien für ihn und sein Land begegnet habe und überzeugt sei, daß es zwischen England und der Monarchie keinen Gegensatz gebe, welcher auch nur im entferntesten den Konflikt rechtfertigen könnte.
Sir Maurice ersuchte mich, Seiner Majestät unserem allergnädigsten Herrn seinen ehrerbietigsten Dank für die Huld und Gnade, welcher er seitens Allerhöchstdesselben teilhaftig wurde, zum Ausdruck zu bringen und Seiner Majestät zu sagen, mit welch hoher Verehrung und Bewunderung König Georg zu Allerhöchstdemselben aufblicke und wie schmerzlich es ihn berühre, daß der Gang der Ereignisse eine solche Wendung nehmen mußte.
Zum Schlusse sprach der Botschafter die Hoffnung aus, daß der tiefbedauerliche Kriegszustand zwischen England und der Monarchie nicht von langer Dauer sein werde.
Indem ich die Freundschaftsversicherungen des Botschafters dankend entgegennahm, versicherte ich denselben, daß auch mich der Gedanke peinlich berühre, daß wir uns mit England im Konflikte befinden, wo doch die beiden Staaten nicht nur durch keinerlei Gegensätze getrennt, sondern durch traditionelle Sympathien wie durch gemeinsame Interessen politisch und moralisch einander nahe gerückt sind. Ich könne nur dem Wunsche des Botschafters beipflichten, daß der widernatürliche Zustand nicht von langer Dauer sein werde.
Der Botschafter beabsichtigt, womöglich morgen   —   14. [sic] August   —   abends Wien zu verlassen und empfahl das Schicksal seiner teils in Wien, teils in den böhmischen Badeorten befindlichen Landsleute unserer tunlichsten Berücksichtigung.


1Vgl. III, Nr. 175.     (Zurück)


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