den 6. August 1914

Graf Mensdorff an Grafen Berchtold


Graf Mensdorff an Grafen Berchtold

Bericht Nr. 37, A—B

L o n d o n , den 6. August 1914

Vorgestern nachmittags   —   also einige Stunden vor der Kriegserklärung an Deutschland   —   hatte ich Sir Edward Grey gesprochen (meine Telegramme Nr. 147 und 148 vom 4. 1. M.1), der mir sagte: »We have no quarrel with Austria, I am not recalling Bunsen. If you went to war with France, it would be different. We could not well collaborate with France in the Atlantic and not in the Mediterranian. But anyhow, we shall not begin if you do not attack us; I trust you will do nothing without observing the formality of declaration of war.«   —   Die Konversation war durchaus freundschaftlich, und ich hatte den Eindruck, daß er aufrichtig bestrebt ist, einen Konflikt mit uns zu verhindern.
Ich telegraphierte in dem Sinne nach Wien, bat aber Grey, pour plus de sureté, auch an Bunsen zu telegraphieren.
Gestern und heute früh erhielt ich kein Telegramm, und zu Mittag bekam ich die anliegende Notifikation des Foreign Office, derzufolge wir kein Chiffretelegramm mehr erhalten oder absenden dürfen2.
Ich telephonierte sofort in das Foreign Office, um zu sagen, daß ich Grey sehen möchte. Er war im Kabinettsrate und schickte mir Tyrrell, der mir sagte, die Maßregel sei aus militärischen Gründen gefaßt worden, auf Grund von Wünschen der Admiralität, denen man sich nicht verschließen könne.
Er sprach von dem deutschen Dreadnought »Goeben«, der im Mittelmeer herumfährt und den man »shaddowed«! [sic] Wenn der nun in einen österreichischen Hafen einläuft? Wenn er zum Beispiel in einen italienischen Hafen einläuft, der neutral ist, so muß er nach 24 Stunden wieder auslaufen oder würde für die Dauer des Krieges immobilisiert!
Tyrrell sprach mir ferner davon, daß der russische Botschafter in Wien seine Pässe erhalten hätte, somit wir uns doch schon mehr [oder] weniger im Kriegszustande mit Rußland befänden.
Ich fragte wiederholt »but do the friendly declarations of Sir Edward of the day before yesterday still hold good?« was er noch immer bejahte   —   »but things are moving so rapidly«.
Ich merkte wohl, daß die Stimmung nicht mehr so günstig war, wie vorgestern. Ich sagte Tyrrell, ich möchte unter allen Umständen Grey sehen, und wir arrangierten, daß ich um 3 Uhr ins Foreign Office kommen sollte.
Als ich dort ankam, empfing mich Tyrrell mit der Nachricht, daß Grey im Parlament sei. Ich proponierte, dahin zu fahren, worauf er antwortete »nein, Grey muß die ganze Zeit im Hause selbst sein, an den Debatten teilnehmen, dann an einer Sitzung des Defence Comitee [sic] teilnehmen, er hat heute nicht einen Moment Zeit und bittet mich, mit Nicolson zu sprechen«. Ich erwiderte »that is not the same thing« und ging zu Nicolson. Aus seinen Reden konnte ich nicht klug werden. Wegen Telegrammen sagte er mir, er werde sich erkundigen, ob welche angekommen seien, und wenn, so würde der Zensor consider, [sic] ob man sie mir noch ausfolgen könne!
Ich fragte ihn »but how do we stand? What instructions has Bunsen got?   —   Do you recall him?«  —
»No, anyhow not yet!«
Auf meine wiederholten Anspielungen auf Greys freundliche Äußerungen von vorgestern erwiderte Nicolson »we are the allies of France and of Russia, so we form one block   —   with Belgium«.
Er sagte mir aber, Abberufung eines Botschafters sei Sache des Kabinetts, nicht des Foreign Office. Übrigens sei selbst nach Abbruch diplomatischer Beziehungen noch kein Kriegszustand. Es wäre da eine Nuance.
Ich fühlte, er wolle nicht Farbe bekennen und mich hinausziehen.
Ich schrieb dann noch an Grey im Foreign Office selbst »I have just seen Nicolson, but I ask you a favour to see me for a moment whenever and wherever you choose.«
Daraufhin erhielt ich einen Brief von Tyrrell, mich auf morgen vertröstend.
So steht die Sache jetzt. Ich glaube, das Ende ist unmittelbar bevorstehend. Was sie noch abwarten oder was sie wollen, ist schwer zu erraten! Momentan bin ich in der lächerlichen Situation, hier noch Botschafter zu sein und dabei durch dieses Chiffreverbot ganz von meiner Regierung abgeschnitten zu sein. Bunsen ist auch noch in Wien und kann, wie es scheint, noch Chiffredepeschen senden.
Ich melde das Chiffreverbot für mich nach Wien in einem Clair-Telegramm, worin ich die diesbezügliche Mitteilung des Foreign Office wiedergebe und beifüge: »Diese Maßregel wird damit motiviert, daß die militärischen Autoritäten darauf bestehen. Hoffe Sir Edward noch heute zu sehen.«

Der k. u. k. Botschafter:
(gez.) A.  M e n s d o r f f

Beilage

The Secretary of State for Foreign Affairs presents his compliments to the Austro­Hungarian Ambassador and has the honour, with reference to the circular note despatched from this Office on the 3rd instant, to inform His Excellency that having regard to the position of the Dual Monarchie as the ally of the German Empire, with which this country is now at war, it is no longer possible for His Majesty's Government to extend to the Austro­Hungarian Embassy the privilege of sending or receiving telegrams in code or cypher.
F o r e i g n   O f f i c e ,  August 5, 1914.


1Siehe III, Nr. 131   und  132.     (Zurück)

2Siehe Beilage.     (Zurück)


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