den 29. Juli 1914
Graf Mensdorff an Grafen Berchtold
Graf Mensdorff an Grafen Berchtold
Telegramm Nr. 119
L o n d o n , den 29. Juli 1914
Aufg. 4 Uhr 32 M. p m.
Eingetr. 9 Uhr · / . a.m. 30./7.C h i f f r e
Ich habe eben Sir E. Grey gesprochen, der mir erklärte, Situation sei viel ernster geworden, und er sei heute sehr besorgt. Von Berlin melde man russische Mobilisierung, von Wien seitens k. u. k. Regierung Ablehnung, mit Rußland direkt zu verhandeln. Somit rückte Gefahr großer europäischer Komplikation immer näher.
Er sagte wiederholt, wir würden voraussichtlich die Unterstützung und Sympathie a l l e r Mächte haben, wenn wir uns damit begnügen würden, daß Serbien alle unsere Forderungen akzeptiere und uns nebstdem noch eine Garantie der Mächte für die Einhaltung dieser Versprechungen gegeben werde.
Ich wies darauf hin, daß es dazu nach der Kriegserklärung und Beginn der Feindseligkeiten wohl zu spät sein dürfte.
»Dann ist es vielleicht auch zur Verhütung des allgemeinen Krieges zu spät«, rief er aus.
Ich kam immer darauf zurück, daß man die Frage des österreichischungarischenserbischen Konfliktes von der Frage des allgemeinen Krieges trennen und darauf einwirken müsse, daß Rußland nicht denselben durch seine Intervention herbeiführe.
Hierauf bemerkte Grey, »wenn die Mächte nur in Rußland raten sollen, daß es passiv bleibe, so ist es gleichbedeutend, Ihnen freie Hand zu geben, was Rußland nicht annehmen wird. Irgend etwas müßten Sie uns zum mindesten geben, daß wir in Petersburg verwerten können«.
Er wolle die Pro und Contra unseres Standpunktes nicht diskutieren, was ihn beschäftige, seien Fakten und das wichtigste: wie kann ein europäischer Krieg noch verhindert werden. Auch ohne territoriale Erwerbungen könnten wir Serbien in das Verhältnis eines Vasallen zu uns bringen und dadurch Rußland vollständig vom Balkan eliminieren.
Ich erwiderte, nach unseren ehemaligen Abmachungen mit Rußland, von denen er mir vorgestern sprach, war ja Serbien in unsere Einflußsphäre gerückt. Es wäre absurd, zu glauben, daß russischer Einfluß vom Balkan ausgeschaltet wäre, wenn Belgrad aufhöre, das Pivot russischer Balkanpolitik zu sein. Vielmehr seien wir es, die sich jetzt in legitimer Verteidigung befinden; der Versuch, alle unseren kleinen Nachbarstaaten zu unseren Feinden zu machen, und die ganze Agitation gegen uns bedrohe unsere Großmachtstellung und daher das Gleichgewicht der Mächte in Europa, für das er immer eintrete etc.
Staatssekretär war sehr pessimistisch.
»Heute spreche Petersburg noch mit Berlin, wie wird es morgen sein?« Er sagte mir, er sei in steter Fühlung mit Reichskanzler, der auch ein Mittel suche, um zwischen Wien und Petersburg zu vermitteln.
Ich habe nachher Tyrrell gesprochen, der mir bestätigte, Sir E. Grey sei sehr beunruhigt und suche fort nach einem Ausweg, um Konflagration zu verhindern.
Ich habe nachher Tyrrell gesprochen, der mir bestätigte, Sir E. Grey sei sehr beunruhigt und suche fort nach einem Ausweg, um Konflagration zu verhindern.
Tyrrell bestätigt mir vollauf meinen Eindruck hiesiger Haltung, den ich dahin resumieren möchte: wenn irgend möglich jeder europäischen Komplikation fernzubleiben; russische Interessen lassen England kühl, wenn es sich aber um ein vitales Interesse Frankreichs oder gar Machtstellung Frankreichs handelt, so ist keine englische Regierung in der Lage, eine Beteiligung Englands an der Seite Frankreichs zu verhindern.
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