den 28. Juli 1914
Zirkularerlaß an alle Missionen
Zirkularerlaß an alle Missionen
(Ü b e r s e t z u n g d e r s e r b i s c h e n N o t e m i t d e n
k r i t i s c h e n B e m e r k u n g e n d e s W i e n e r
K a b i n e t t e s1)
1. Athen, 17. München,
2. Bangkok, 18. Paris,
3. Berlin, 19. Peking,
4. Bern, 20. Rio de Janeiro,
5. Brüssel, 21. Rom I.,
6. Buenos-Aires, 22. Rom V.,
7. Bukarest, 23. Petersburg,
8. Cetinje, 24. Santiago,
9. Dresden, 25. Sofia,
10. Haag, 26. Stockholm,
11. Konstantinopel, 27. Stuttgart,
12. Kopenhagen, 28. Teheran,
13. Lissabon, 29. Tokio,
14. London, 30. Washington,
15. Madrid, 31. Durazzo,
16. Mexiko, 32. Kairo. Prot. Nr. 3581--3612, 3612a
Wien, den 28. Juli 1914
In der Anlage beehre ich mich, E. · / . zu Ihrer Information die wortgetreue Übersetzung der serbischen Antwortnote vom 25.1. M. sowie unsere kritischen Bemerkungen hiezu zu übermitteln. Aus den letzteren, die zur Regelung Ihrer Sprache bestimmt sind, werden E. · / . die Gründe entnehmen, die uns veranlaßt haben, die serbische Note als unbefriedigend zu qualifizieren.
Beilage
Ü b e r s e t z u n g A n m e r k u n g e n Note der königlich serbischen Regierung an die k. u. k. Regierung
vom 12./25. Juli 1914
Die königlich serbische Regie- rung hat die Mitteilung der k. u. k. Regierung vom 10. d. M. erhalten und ist überzeugt, daß ihre Antwort jedes Mißverständ- nis zerstreuen wird, welches die freundnachbarlichen Beziehungen zwischen der österreichisch-unga- rischen Monarchie und dem König- reiche Serbien zu stören droht. Die königliche Regierung ist Die königlich serbische Re- sich bewußt, daß der großen Nach- gierung beschränkt sich darauf barmonarchie gegenüber bei kei- festzustellen, daß seit Abgabe der nem Anlasse jene Proteste erneu- Erklärung vom 18. März 1909 ert wurden, die seinerzeit sowohl von Seite der serbischen Regierung in der Skupschtina als auch in Er- und ihrer Organe kein Versuch zur klärungen und Handlungen Änderung der Stellung Bosniens verantworlichen Vertreter des und der Herzegowina unternom- Staates zum Ausdrucke gebracht men wurde. wurden und die durch Erklärung Damit verschiebt sie in bewußt der serbischen Regierung vom willkürlicher Weise die Grund- 18. März 1909 ihren Abschluß ge- lagen unserer Demarche, da wir funden haben, sowie weiters, daß nicht die Behauptung aufgestellt seit jener Zeit weder von den ver- haben, daß sie und ihre Organe in schiedenen einander folgenden Re- dieser Richtung offiziell irgend gierungen des Königreiches noch etwas unternommen hätten. von deren Organen der Versuch Unser Gravamen geht vielmehr unternommen wurde, den in Bos- dahin, daß sie es trotz der in der nien und der Herzegowina ge- zitierten Note, übernommenen Ver- schaffenen politischen und recht- pflichtungen unterlassen hat, die lichen Zustand zu ändern. Die gegen die territoriale Integrität der königliche Regierung stellt fest, Monarchie gerichtete Bewegung zu daß die k. u. k. Regierung in die- unterdrücken. ser Richtung keinerlei Vorstellun- Ihre Verpflichtung bestand also gen erhoben hat, abgesehen von darin, die ganze, Richtung ihrer dem Falle eines Lehrbuches, hin- Politik zu ändern und zur öster- sichtlich dessen die k. u. k. Regie- reichisch-ungarischen Monarchie rung , eine vollkommen befriedi- in ein freundnachbarliches Ver- gende Aufklärung erhalten hat. hältnis zu treten, nicht bloß die Serbien hat während der Dauer Zugehörigkeit Bosniens zur Mon- der Balkankrise in zahlreichen archie offiziell nicht anzutasten. Fällen Beweise für seine pazifisti- sche und gemäßigte Politik gelie- fert und es ist nur Serbien, und den Opfern, die es ausschließlich im Interesse des europäischen Frie- dens gebracht hat, zu danken, wenn dieser Friede, erhalten geblie- ben ist. Die königliche Regierung kann Die Behauptung der königlich nicht für Äußerungen privaten serbischen Regierung, daß die Charakters verantwortlich gemacht Äußerungen der Presse und die werden, wie es Zeitungsartikel Tätigkeit von Vereinen privaten und die friedliche Arbeit von Ge- Charakter haben und sich der staat- sellschaften ist, Äußerungen, die lichen Kontrolle entziehen, steht im fast in allen Ländern ganz ge- vollen Widerspruche zu den Ein- wöhnliche Erscheinungen sind und richtungen moderner Staaten, die sich im allgemeinen der staat- selbst der freiheitlichsten Richtung lichen Kontrolle entziehen. Dies auf dem Gebiete des Preß- und umsoweniger, als die königliche Vereinsrechtes, das einen öffent-   Regierung bei der Lösung einer lich rechtlichen Charakter hat und ganzen Reihe von Fragen, die Presse sowie Vereine der staat- zwischen Serbien und Österreich- lichen Aufsicht unterstellt. Übri- Ungarn aufgetaucht waren, gro- gens sehen auch die serbischen ßes Entgegenkommen bewiesen Einrichtungen eine solche Aufsicht hat, wodurch es ihr gelungen ist, vor. Der gegen die serbische Re- deren größeren Teil zu Gunsten gierung erhobene Vorwurf geht des Fortschrittes der beiden Nach- eben dahin, daß sie es gänzlich barländer zu lösen. unterlassen hat, ihre Presse und   ihre Vereine zu beaufsichtigen, deren Wirken im monarchiefeind- lichen Sinne sie kannte.
Die königliche Regierung war Diese Behauptung ist unrichtig; deshalb durch die Behauptungen, die serbische Regierung war über daß Angehörige Serbiens an der den gegen ganz bestimmte Per- Vorbereitung des in Sarajevo ver- sonen bestehenden Verdacht genau übten Attentates teilgenommen unterrichtet und nicht nur in der hätten, schmerzlich überrascht. Sie Lage, sondern auch nach ihren in- hatte erwartet, zur Mitwirkung ternen Gesetzen, verpflichtet, ganz bei den Nachforschungen über die- spontan Erhebungen einzuleiten. ses Verbrechen eingeladen zu Sie hat in dieser Richtung gar werden und war bereit, um ihre nichts unternommen. volle Korrektheit durch Taten zu beweisen, gegen alle Personen vor- zugehen, hinsichtlich welcher ihr Mitteilungen zugekommen wären. Den Wünschen der k. u. k. Re- gierung entsprechend ist die könig- liche Regierung somit bereit, dem Gerichte ohne Rücksicht auf Stel- lung und Rang jeden serbischen Staatsangehörigen zu übergeben, für dessen Teilnahme an dem Sarajevoer Verbrechen ihr Be- weise geliefert werden sollten; sie verpflichtet sich insbesondere, auf der ersten Seite des Amtsblattes vom 13./26. Juli folgende Enun- ziation zu veröffentlichen:
Unsere Forderung lautete: »Die königlich serbische Re- »Die königlich serbische Re- gierung verurteilt jede Propa- gierung verurteilt die gegen ganda, die gegen Österreich-Un- Österreich-Ungarn gerichtete Propa- garn gerichtet sein sollte, das heißt ganda . . .« die Gesamtheit der Bestrebungen, Die von der königlich serbischen die in letzter Linie auf die Los- Regierung vorgenommene Ände- reißung einzelner Gebiete von der rung der von uns geforderten Er- österreichisch-ungarischen Monar- klärung will sagen, daß eine solche chie abzielen, und sie bedauert auf- gegen Österreich – Ungarn ge- richtig die traurigen Folgen dieser richtete Propaganda nicht besteht verbrecherischen Machenschaften. oder daß ihr eine solche nicht be- kannt ist. Diese Formel ist un- aufrichtig und hinterhältig, da sich die serbische Regierung damit für später die Ausflucht reserviert, sie hätte die derzeit bestehende Propa- ganda durch diese Erklärung nicht desavouiert und nicht als mon- archiefeindlich anerkannt, woraus sie weiter ableiten könnte, daß sie zur Unterdrückung einer der jetzi- gen Propaganda gleichen nicht ver- pflichtet sei.
Die von uns geforderte Formu- lierung lautete: Die königliche Regierung be- »Die königliche Regierung be- dauert, daß laut der Mitteilung der dauert, daß serbische Offiziere und k. u. k. Regierung gewisse ser- Funktionäre . . . . . . . . mitgewirkt bische Offiziere und Funktionäre haben . . . . . .« an der eben genannten Propaganda Auch mit dieser Formulierung mitgewirkt, und daß diese, damit und dem weiteren Beisatze »laut die freundnachbarlichen Beziehen- der Mitteilung der k. u. k. Re- gen gefährdet hätten, zu deren Be- gierung« verfolgt die serbische Re- obachtung sich die königliche Re- gierung den bereits oben ange- gierung durch die Erklärung vom deuteten Zweck, sich für die Zu- 31. März 1909 feierlich verpflich- kunft freie Hand zu wahren. tet hatte. »Die kgl. Regierung . . . . . . . « gleichlautend mit dem geforderten Texte. Die königliche Regierung ver- pflichtet sich weiters: Wir hatten gefordert: 1. Anläßlich des nächsten ord- »1. Jede Publikation zu unter- nungsmäßigen Zusammentrittes der drücken, die zum Hasse und zur Skupschtina in das Preßgesetz Verachtung gegen die Monarchie eine Bestimmung einzuschalten, aufreizt und deren allgemeine Ten- wonach die Aufreizung zum Hasse denz gegen die territoriale Integri- und zur Verachtung gegen die tät der Monarchie gerichtet ist.« Monarchie sowie jede Publikation Wir wollten also die Verpflich- strengstens bestraft würde, deren tung Serbiens herbeiführen, dafür allgemeine Tendenz gegen die terri- zu sorgen, daß derartige Preßan- toriale Integrität Österreich-Un- griffe in Hinkunft unterbleiben; garns gerichtet ist. wir wünschten also einen bestimm- Sie verpflichtet sich, anläßlich ten Erfolg auf diesem Gebiete der demnächst erfolgenden Revi- sichergestellt zu wissen. sion der Verfassung in den Ar- Statt dessen bietet uns Serbien tikel XXII des Verfassungsge- die Erlassung gewisser Gesetze an, setzes einen Zusatz aufzunehmen, welche als Mittel zu diesem Er- der die Konfiskation derartiger folge dienen sollen, u. zw.: Publikationen gestattet, was nach a) ein Gesetz, womit die frag- den klaren Bestimmungen des Ar- lichen monarchiefeindlichen Preß- tikels XXII der Konstitution der- äußerungen subjektiv bestraft zeit unmöglich ist. werden sollen, was uns ganz gleich- gültig ist, umsomehr, als be- kanntermaßen die subjektive Ver- folgung von Preßdelikten äußerst selten möglich ist und bei einer entsprechend laxen Behandlung eines solchen Gesetzes auch die wenigen Fälle dieser Art nicht zur Bestrafung kommen würden; also ein Vorschlag, der unserer Forde- rung in keiner Weise entgegen- kommt, da er uns nicht die ge- ringste Garantie für den von uns gewünschten Erfolg bietet; b) ein Nachtragsgesetz zu Ar- tikel XXII der Konstitution, das die Konfiskation gestatten würde — ein Vorschlag, der uns gleich- falls nicht befriedigen kann, da der Bestand eines solchen Gesetzes in Serbien uns nichts nützt, sondern nur die Verpflichtung der Re- gierung, es auch anzuwenden, was uns aber nicht versprochen wird. Diese Vorschläge sind also voll- kommen unbefriedigend — dies umsomehr, als sie auch in der Richtung evasiv sind, daß uns nicht gesagt wird, innerhalb welcher Frist diese Gesetze er- lassen würden, und daß im Falle der Ablehnung der Gesetzvorlage durch die Skupschtina — von der eventuellen Demission der Regie- rung abgesehen — alles beim alten bliebe.
2. Die Regierung besitzt keiner- Die monarchiefeindliche Propa- lei Beweise dafür und auch die ganda der »Narodna odbrana« und Note der k. u. k. Regierung liefert der ihr affilierten Vereine erfüllt ihr keine solchen, daß der Verein in Serbien das ganze öffentliche »Narodna odbrana« und andere Leben; es ist daher eine ganz un- ähnliche Gesellschaften bis zum zulässige Reserve, wenn die ser- heutigen Tage durch eines ihrer bische Regierung behauptet, daß Mitglieder irgendwelche verbreche- ihr darüber nichts bekannt ist. rischen Handlungen dieser Art be- Ganz abgesehen davon, ist die gangen hätten. Nichtsdestoweniger von uns aufgestellte Forderung wird die königliche Regierung die nicht zur Gänze erfüllt, da wir Forderung der k. u. k. Regierung überdies verlangt haben: annehmen und die Gesellschaft Die Propagandamittel dieser Ge- »Narodna odbrana« sowie jede Ge- sellschaften zu konfiszieren; sellschaft, die gegen Österreich- die Neubildung der aufgelösten Ungarn wirken sollte, auflösen. Gesellschaften unter anderem Namen und in anderer Gestalt zu verhindern. In diesen beiden Richtungen schweigt das Belgrader Kabinett vollkommen, so daß uns auch durch die gegebene, halbe Zusage keine Garantie dafür geboten ist, daß dem Treiben der monarchie- feindlichen Assoziationen, insbe- sondere der »Narodna odbrana«, durch deren Auflösung definitiv ein Ende bereitet wäre.
3. Die königlich serbische Re- Auch in diesem Falle verlangt gierung verpflichtet sich, ohne Ver- die serbische Regierung erst Nach- zug aus dem öffentlichen Unter- weise dafür, daß im öffentlichen richte in Serbien alles auszu- Unterrichte Serbiens eine mon- scheiden, was die gegen Osterreich- archiefeindliche Propaganda ge- Ungarn gerichtete Propaganda trieben wird, während sie doch fördern könnte, falls ihr die k. u. wissen muß, daß die bei den ser- k. Regierung tatsächliche Nach- bischen Schulen eingeführten Lehr- weise für diese Propaganda liefert. bücher in dieser Richtung zu bean- standenen Stoff enthalten, und daß