den 24. Juli 1914
Graf Mensdorff an Grafen Berchtold
Graf Mensdorff an Grafen Berchtold
Telegramm Nr. 108
L o n d o n , den 24. Juli 1914
Aufg. 2 Uhr 50 M. p. m.
Eingetr. 9 Uhr · / . p. m. 25./7.C h i f f r e
Im Nachhange zum Telegramm Nr. 107 von gestern1. Soeben Zirkularnote Sir Edward Grey übergeben, der sie aufmerksam durchgelesen. Bei Punkt 5 fragte er, wie das zu verstehen sei; Einsetzung von Organen unserer Regierung in Serbien wäre gleichbedeutend mit dem Aufhören staatlicher Unabhängigkeit Serbiens. Ich erwiderte, Kollaboration von zum Beispiel Polizeiorganen tangiere keineswegs Staatssouveränität. Staatssekretär wiederholte seine gestrigen Bedenken gegen kurze Befristung, welche Einwirkung anderer Mächte nahezu unmöglich mache. Er bezeichnet unsere Note als das formidabelste Dokument, das je von einem Staat an einen andern gerichtet wurde; anerkannte aber, daß das was über Mitschuld am Verbrechen von Sarajevo gesagt wird sowie manche unserer Verlangen berechtigt seien. Hauptbedenken zur Annahme scheint ihm Punkt 5, die kurze Befristung und daß eigentlich Text der Antwort diktiert. Was ihn ernstlich beunruhigt, ist Rückwirkung auf den europäischen Frieden. Wenn dieser nicht gefährdet wäre, würde er ganz bereit sein, die Angelegenheit als eine solche zu betrachten, die nur Österreich-Ungarn und Serbien berühre. Er ist aber sehr »apprehensiv«, daß mehrere Großmächte in einen Krieg verwickelt werden könnten. Von Rußland, Deutschland, Frankreich sprechend, bemerkte er, die Bestimmungen des französisch-russischen Bündnisses dürften ungefähr so lauten wie die des Dreibundes. Ich legte ihm ausführlich unseren Standpunkt dar, verwertete vollinhaltlich die Erwägungen des Telegrammes Nr. 159 vom 23. d. M.2 und wiederholte entschieden, daß wir festbleiben müßten, um uns doch einigermaßen Garantien zu schaffen, nachdem bisherige serbische Erklärungen niemals eingehalten wurden. Ich begreife, daß er zunächst nur die Frage der Rückwirkung auf europäischen Frieden erwäge, er müsse aber auch, um unseren Standpunkt zu würdigen, sich in unsere Lage versetzen. Er wollte nicht in eine nähere Diskussion über dieses Thema eingehen, müsse auch noch Note genauer studieren; jetzt handelt es sich darum, zu versuchen, was man noch tun könne, um der drohenden Gefahr zu begegnen. Er zitierte zunächst die deutschen und französischen Botschafter. Mit den Alliierten Österreich-Ungarns und Rußlands, die aber selbst keine direkten Interessen in Serbien haben, müsse er vor allem in Gedankenaustausch treten. Er wiederholte häufig, daß er für die Erhaltung des Friedens zwischen den Großmächten sehr besorgt sei.
2. Siehe I, Nr. 61.
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Last Updated: February 2001.